haehnchen03 hat geschrieben:Katalonien kann sich nicht auf EU Recht berufen und auf das Völkerrecht ebenfalls nicht.
Ich hoffe es bleibt so.
Also ist eine Unabhängigkeit im Sinne von EU und Völkerrecht fragwürdig.
Eine Unabhängigkeit auf Grund der Meinung der Katalanischen Menschen für mich ebenfalls fragwürdig.
Züge dieser Argumentation finden sich in einigen Kommentaren wieder, selbst von Vertretern der Kommission Juncker. Ich vermag ihr ehrlich gesagt nicht zu folgen.
Die oben zitierten Bedingungen aus dem Völkerrecht sind die einzigen, an die das Selbstbestimmungsrecht geknüpft ist. Insbesondere ist es nicht erforderlich, daß eine Ethnie von einer anderen unterdrückt oder durch Anwendung von Gewalt an der Ausübung seiner Rechte gehindert wurde. Das Selbstbestimmungsrecht setzt also auch nicht erst dadurch ein, daß es durch eine Art Opferrolle verdient wird. Ebenso läuft der Einwand, Spanien sei eine Demokratie, deren Verfassung die territoriale Einheit zur Heiligen Kuh erklärt, ins Leere. Auch dies genügt nicht, um den Katalanen als geschlossener, eigenständiger Volksgruppe eine Selbstbestimmung zu verweigern. Anders sähe es z.B. aus, wenn den Katalanen der Status eines eigenständigen Volkes strittig gemacht würde, eine Methode, mit der etwa die Türkei ihre "Bergtürken", sprich Kurden, an die Kandare legt. Dabei teilen sich das Türkische, eine dem Mongolischen verwandte Sprache, und das Kurdische, das wie Deutsch, Französisch oder Persisch zur den indoeuropäischen Sprachen zählt, nicht einmal diegleiche Sprachfamilie, d.h. es existieren keinerlei Ähnlichkeiten. Das Beispiel zeigt nebenbei, daß bei der Unterdrückung von Unabhängigkeitsbestrebungen gerne zu abstrusen Rechtfertigungen gegriffen wird. Im Fall der Türkei werden Kurden zu Bergtürken umgedichtet, im Fall Spanien werden friedlich wählende katalanische Bürger zu Schwerverbrechern erklärt, gegen die Gendarmerie, also militärisch organisierte Polizei, zu Felde geführt wird. Ein Vorgehen, das wohl entscheidend zur Verhärtung der Fronten beigetragen hat.
Hauptunterscheidungsmerkmal der Katalanen ist ihre eigene Sprache, die sich vom Kastilischen klar in Vokabular und Grammatik unterscheidet. Das Verbreitungsgebiet dieser romanischen Sprache reichte historisch in den französischen Roussillon und darüber hinaus. Bereits im Jahr 1700 wurde dort Katalanisch per Dekret verboten - ein Zwangsakt ähnlich der Unterdrückung des Katalanischen während der Franco-Diktatur. Nach dessen Ende wurde vor etwas mehr als 30 Jahren, parallel zu den Bestrebungen eines Europa der Regionen, der Versuch unternommen, die historischen Beziehungen zwischen den grenznahen südfranzösischen Départments und der Region Katalonien wiederaufleben zu lassen (Stichwort "Septimanie"). Man fand jedoch schnell heraus, daß den Zentralregierungen in Madrid und Paris wenig daran liegt, daß ihre Grenzregionen, die früher einmal engste kulturelle, politische und wirtschaftliche Beziehungen unterhielten, erneut zusammenfinden. Die Enttäuschung über das gescheiterte Experiment habe ich auf französischer Seite hautnah miterlebt. Den katalanischen Regionalpolitikern könnte dies vor Augen geführt haben, was passiert, wenn man die eigene Sprache und Kultur nicht aktiv schützt: sie geht infolge von Unterdrückung oder Vernachlässigung unter, schleichend, aber stetig. So wie im Roussillon, wo außer Ortsnamen nichts mehr an das Katalanische erinnert.
In der Frage nach dem eigenständigen Charakter einer Ethnie spielen neben der Sprache und Abstammung sicher noch andere Faktoren eine Rolle, beispielsweise die geschichtliche und kulturelle Entwicklung, geographische Begrenzungen, Handelsbeziehungen, aussenpolitische Präferenzen etc. In der Hinsicht meine ich einige Punkte zu erkennen, die eine eigenständigere Rolle Kataloniens nahelegen. Zumindest genug, um eine sehr weitreichende, unantastbare Autonomie zu rechtfertigen. Zu diesem befreienden und innere Spannungen abbauenden Schritt setzte man vor gut 10 Jahren durch umfangreiche Gesetzesreformen an, nur um von der Regierung Rajoy mitten in dieser Bewegung zu Fall gebracht zu werden. Nach Einschätzung einiger Kommentatoren gilt dieses Ereignis als Auslöser für die einfache Frage, vor die sich inzwischen viele Katalanen gestellt sehen: In Spanien ausharren als Bürger zweiter Klasse oder einen eigenen Weg gehen?
Vermutlich hat diese Frage erst durch den Zwang aus Madrid so sehr an Bedeutung gewonnen. Aus meiner Sicht für Madrid eine ebenso unnötige wie aussichtslose Konfrontation. Von den Risiken für die Stabilität der EU-Wirtschaft und des Euro-Systems ganz zu schweigen.